Hallo ,
nach dem Sommerinterview mit Ricarda Lang haben wir Euch gefragt, welche Punkte für Euch offen geblieben sind, was Euch besonders bewegt hat und zu welchen Themen Ihr gerne noch mehr wissen möchtet. Seither haben wir unglaublich viele spannende Zuschriften von Euch bekommen und sind ganz überwältigt von Eurem Interesse an Ricarda und Ihren Antworten!
Wir haben Ricarda die häufigsten Fragen gegeben und sie hat sie für Euch beantwortet. Hier erfahrt Ihr, was sie zu Themen wie Atomkraft, klimaschädlichen Subventionen und der Situation von Pflegekräften sagt.
Viel Spaß beim Lesen!
Viele Grüße
Katharina
Kampagnenteam
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Eure Frage:
“Warum bleibt das 9€ Ticket nicht für die Armen erhalten, also für alle die, die auf staatliche Zuwendungen zum Lebensunterhalt angewiesen sind? Diese können sich in der Regel keine Reisen und viele Fahrten im ÖPNV leisten. Damit sind Mehrkosten für die Bahn und ÖPNV nur in extrem geringem Umfang zu erwarten und ein hoher zusätzlicher Subventionsbedarf scheint ausgeschlossen.”
Ricarda:
Wir schlagen zu diesem Zweck ein 29 EUR-Ticket vor, das im jeweiligen und angrenzenden Bundesländern gilt. Neben den sozialen Aspekten wollen wir damit auch den Klimaschutz stärken. Denn wir wollen allen Menschen damit einen starken Anreiz geben auf die öffentlichen Verkehrsmittel umzusteigen. Unseren Vorschlag dazu findest du hier.
Eure Frage:
“Ich weiß, Ihr habt unendlich viel zu tun, aber ich muss einmal als Neuzugang bei den Grünen die Frage stellen, denn hier liegt unglaublich viel Potential brach. Wann werden riesige Flachdächer von Logistikzentren und der Industrie für Voltaikpanel genutzt? Die riesigen Gebäude mit hohem Landschaftsverbrauch könnten diesen teilweise kompensieren und den so wertvollen Strom produzieren! Als Ingenieur verstehe ich nicht wie man dieses Versäumnis weiter (auch im Altbestand) zulassen kann. Nichts ist einfacher, effizienter als dort Fotovoltaik einzubauen.”
Ricarda:
Dies ist uns auch seit langem ein Dorn im Auge. Bei Gesprächen mit den entsprechenden Unternehmen wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass die geplante Nutzungsdauer der Gebäude potentiell zu kurz sei, damit sich PV-Anlagen sicher rechnen. Zudem wurden die Rahmenbedingungen für Eigenstromverbrauch durch die alten Bundesregierungen im Vergleich zum ursprünglichen EEG immer weiter verschlechtert.
Hier haben wir mit dem neuen EEG die Kehrtwende eingeleitet. Für Neubauten haben wir die Solarpflicht eingeführt. Für private Neubauten und den Bestand werden wir das nach und nach ebenfalls tun. Denn aktuell sind die Kapazitäten an Installationsbetrieben und auch von Materialien so knapp, dass eine sofortige Einführung einer Solarpflicht für alle Gebäude alleine aus Kapazitätsgründen leider nicht möglich ist. Hier geht es also darum klare Perspektiven zu schaffen, die einen systematischen Aufbau von Kapazitäten ermöglicht. So kann die Ausbaugeschwindigkeit bis spätestens 2026 auf das notwendige Maß erhöht werden und wir die gesteckten Ziel bis 2030 erreichen.
Eure Frage:
“Du sprachst immer wieder von klimaschädlichen Subventionen, die man reduzieren bzw. ganz streichen sollte, um z.B. die Kosten für die Verkehrswende und weiterer Maßnahmen mit zu finanzieren. Welche Subventionen sind das genau?”
Ricarda:
Insgesamt sind das über 60 Milliarden Euro pro Jahr im Bundeshaushalt. Dabei handelt es sich vor allem um die Dieselsubvention und die fehlende Kerosinsteuer mit je 8 Mrd. EUR, das Dienstwagenprivileg und die Mehrwertsteuerbefreiung von internationalen Flügen mit je ca. 4 Mrd. EUR. Auch die Pendlerpauschale in Höhe von 6 Mrd. Euro könnte man auf die wirklich Bedürftigen konzentrieren und damit Milliarden sparen.
Eure Frage:
“Bist Du für eine Verlängerung der Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke? Wir Grünen sind die Partei gegen Atomkraft, und ich will, dass wir das bleiben. Selbst die Betreiber sind dagegen. Wie stehst Du dazu?”
Ricarda:
Wir warten den Stresstest zur Stromversorgung ab. Einen Wiedereinstieg in die Atomkraft wird es mit uns aber nicht geben.
Eure Frage:
“Ich bin Krankenpfleger und als Grünen-Mitglied sehr stolz darauf, welches tolle Wahlprogramm wir für die Pflege aufgestellt haben. Einige Prozesse sind im Gang (z.B. die PPR 2.0, Community Health Nurses), aber vieles liegt noch brach. Außerdem ist es noch nicht gesetzt, dass die bisher angestoßenen Projekte auch tatsächlich schlagkräftig und im Sinne der professionellen Pflege verabschiedet werden. Viele Probleme der Pflege liegen nicht zuletzt an unserem dringend reformbedürftigen Gesundheitswesen, z.B. Zwei-Klassen-Krankenversicherung, Arztzentriertheit, viele private Akteure und kaum staatliche Gesundheitsdienstleistungen.
Ich möchte dich fragen: Was planst Du, um noch in dieser Legislatur deutlich progressiver für eine gute Pflege und ein solidarisches Gesundheitswesen zu kämpfen?”
Ricarda:
Der Arbeitsalltag vieler Pflegekräfte ist nach wie vor geprägt von Arbeitsverdichtung und zunehmendem Stress, sodass viele den Beruf verlassen. Die Ergebnisse der Studie „Ich pflege wieder, wenn …“ der Hans-Böckler-Stiftung zeigen aber, dass sie bereit sind zurückkehren, wenn wir endlich für gute Arbeitsbedingungen sorgen. Damit ist der Auftrag an die Politik klar formuliert. Wir arbeiten an der Einführung eines verbindlichen Personalschlüssels mit einem wissenschaftlichen Personalbemessungsinstrument, denn nur auf diese Weise kann gewährleistet werden, dass ausreichend Pflegekräfte im Dienst sind. Gleichzeitig setzen wir uns für eine zukunftsorientierte kommunale Pflegestruktur und innovative Qualifizierungswege für Pflegefachkräfte ein, denn wir stehen im Angesicht des demografischen Wandels vor der Herausforderung, eine qualitativ hochwertige Versorgung für alle Menschen auch in Zukunft sicher zu stellen. Das geht nur, wenn der Pflegeberuf international anschlussfähig ist und die Politik qualifizierte Ansprechpartnerinnen und -partner aus der Pflegepraxis und Pflegewissenschaft hat. Dazu muss die Pflege endlich selbst Einfluss auf Regelungen nehmen können, die die Ausübung und Aneignung des Berufes betreffen.
Eure Frage:
“Was kann die Regierung unternehmen, um die Mindestbesetzung in Kliniken zu verankern und in ihrer Umsetzung zu kontrollieren? Und wie wollen wir langfristig mit der Privatisierung der Gesundheitsversorgung umgehen?”
Ricarda:
Um eine Unterbesetzung in verschiedenen pflegesensitiven Bereichen des Krankenhauses zu verhindern, hat die Regierung der vergangenen Legislaturperiode Pflegepersonaluntergrenzen für diese Bereiche festgelegt. Die Krankenhäuser müssen für die einzelnen Monate Durchschnittswerte der Personalbesetzung ermitteln, die dann von unabhängigen Wirtschaftsprüfern überprüft werden. Halten sich die Krankenhäuser nicht an Vorgaben, werden sie sanktioniert und müssen bspw. Vergütungsabschläge hinnehmen.
Um der anhaltenden Dramatik in der Pflege zu begegnen, haben wir uns mit unseren Koalitionspartnern darauf geeinigt, zur verbindlichen Personalbemessung im Krankenhaus die bereits erarbeitete Pflegepersonalregelung (PPR 2.0) einzuführen und später durch ein wissenschaftliches Personalbemessungsinstrument abzulösen, das gewährleistet, dass immer ausreichend Pflegekräfte im Dienst sind. Natürlich kann die PPR 2.0 kein Personal herbeizaubern, aber eine verbindliche Personalbemessung ist ein wichtiges Signal, dass sich etwas bewegt und wir nicht zulassen, dass eine Pflegekraft in der Nacht 50 Patientinnen und Patienten alleine betreut.
Eure Frage:
“Eine modifizierende Änderung des Transsexuellengesetzes war sicher erforderlich. Gegen die geplanten Self-ID, ohne Gutachten und ohne Wartezeiten gibt es derzeit viel Kritik. Können Sie die Bedenken von Frauen/Lesben/Schwulen/Transpersonen nachvollziehen? Welche Bedenken haben Sie vielleicht sogar selber?”
Ricarda:
Das Transsexuellengesetzes ist für uns nicht modifizierbar, wir brauchen ein neues Gesetz, dessen Leitlinie die Selbstbestimmung sein muss. Selbstbestimmt leben zu können, ist ein zentrales Bedürfnis aller Menschen. Aus Überzeugung treten wir Grüne schon immer für die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen, für ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderungen oder im Alter und auch für die geschlechtliche Selbstbestimmung ein.
Trans-, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen fordern seit Jahren zu Recht, dass sie mit dem Geschlecht anerkannt werden, mit dem sie sich identifizieren. Wer außer der betroffenen Person selbst, kann dies festlegen? Das umstrittene Transsexuellengesetz muss abgeschafft werden, denn es hat so vielen Menschen so lange das Recht auf Selbstbestimmung verwehrt, indem sie z.B. gezwungen wurden entwürdigende Befragungen über sich ergehen zu lassen. Das ist menschenrechtlich nicht hinnehmbar und muss beendet werden.
Wenn der Staat entscheidet, das Geschlecht zu erfassen, muss er auch ermöglichen, die bei der Geburt falsch vorgenommene Zuordnung unbürokratisch zu berichtigen.